Dr. Mario Cervino
Sehr geehrte Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie zu der Eröffnung der Benefizausstellung von Stefanie Hubner.
Im Jahre 2008 wurde ich gebeten als Juror für den Kunstförderpreis Kissing tätig zu sein. Einstimmig gewann die damals 23-jährige Künstlerin Stefanie Hubner, eine für uns bis dato unbekannte Künstlerin. Sie hatte sich mit einem Waldbild präsentiert, das uns alle erstaunte. Eine sehr reife Arbeit für einen so jungen Menschen. Stefanie Hubner pflegte einen figurativen realistischen Stil der mit Akkuratesse und Liebe zum Detail ein großes narratives Potenzial hat.
2011 durfte ich ihr dann die Laudatio einer Einzelausstellung in München halten. Damals nicht in Kenntnis ihres Schicksals, offenbarten sich mir ihre Bilder enigmatisch, voller Rätsel. … und jetzt stehe ich hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge vor Ihnen! Lachend weil ich glücklich und dankbar bin Stefanie Hubner eine Bühne zu geben und weil ihr und ihren Eltern die Möglichkeit gegeben wird, ihren künstlerischen Nachlas einem guten Zweck zur Verfügung zu stellen und damit bedürftigen Menschen das Leben ein wenig leichter und schöner zu gestalten. Für diese Chance ein großes Vergelt`s Gott an Pater Simon der uns die Möglichkeit gegeben hat in diesem wunderschönen Ambiente auszustellen und ein großes Lob an Frau Dr. Pia Haertinger, die mit unermüdlicher Hingabe und Ausdauer diese Ausstellung kuratiert hat. Danke Pia! Und das weinende Auge, weil Stefanie nicht mehr bei uns ist.
Stefanie Hubner bedient sich des kritischen Realismus, eine philosophische, erkenntnistheoretische Grundposition, von einer realen Welt ausgehend, die der sinnlichen Wahrnehmung entspricht, subtile Fragen stellt und persönliche Reflexionen erwartet. Im Zentrum ihres Schaffens steht der Mensch, unabhängig davon ob sichtbar oder nicht. Der Betrachter wird aufgefordert, ja fast gezwungen in ihre Bilder einzutauchen, sie zu versinnlichen, Teil des Geschehens zu werden. Man fühlt sich wie ein Detektiv am Tatort: Indizien sammelnd, nach Artefakten suchend, Puzzleteile zusammensetzend. Stefanie Hubner stellt Fragen und bedient sich einer intellektuellen Kunst mittels traditioneller Malerei.
Diese Ausstellung ist eine gelungene Retrospektive, die neben gekonnten Jugendwerken, meditative, in sich gekehrte Arbeiten der letzten Lebensjahre von Stefanie Hubner beinhaltet. So die Waldbilder: Fiktive Landschaften, die bühnenbildartig inszeniert sind. Die Protagonisten sind in ihren Räumen eingeschlossen, in ein surreales Szenario involviert. Drei Werke die mit einem Crescendo der Ausbeutung mit dem Hilfeschrei der Künstlerin enden: Zerstört unseren Planeten nicht! Es geht mit der "Ausbeute" los. Imker, die in ihren Schutzanzügen nehmen, was sie können und von der Arbeit anderer profitieren, über "Revanche" - die Natur schlägt zurück- , eine trostlose Szenerie, gespickt mit in Nadelstreif gekleidete Stadtmenschen, die ohne Orientierung, fehl am Platz, in der trostlos verwüsteten Landschaft die mit Pestilenz geschwängert ist, ihren Platz suchen. Es ist wie eine psychoanalytische Hadesfahrt: düster, unheimlich, beklemmend und dabei stehen sie nur inmitten des eigenes Produkts einer zerstörten Natur, die keine Wärme, keine Gemütlichkeit mehr einer hoffnungslosen Gesellschaft bieten kann.
Aber es geht noch schlimmer: "Poison" Gift - das Endprodukt der Zerstörung: wieder Schutzanzüge. in die sich ratlose Menschen kleiden, die in der giftigen Kloake stehend beraten, wie diesem Dilemma zu entkommen sei. Gier, Profit, Zerstörung, Zweifel, Ausweglosigkeit. Und die Botschaft? "Lasst uns nicht so weit kommen!" Es sind kritische Bilder, die an der Realitätsebene zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein inszeniert sind. Sie immortalisieren das Chaos des Lebens und widerspiegeln auf beeindruckende Weise die paranoische Komplexität des menschlichen Daseins in der modernen Gesellschaft.
Menschenleer hingegen sind die Nachtbilder oder wie Stefanie Hubner sie nannte: die Dunklen Bilder. Es sind Nachtdarstellungen hell erleuchteter Gebäude, die aus der Dunkelheit heraus strahlen. Eine einzigartige Atmosphäre entsteht, und obwohl menschenleer spürt man deren Seelen allgegenwärtig. Ein absolutes Kontrastprogramm zu den Waldbildern. Diesmal eine von Menschenhand kreierte Landschaft, geometrisch angeordnet, architektonisch konstruiert. Es sind Bilder, die nicht mehr durchwühlen, in gleichmäßiger Tiefenschärfe und Mehrdimensionalität. Stefanie Hubner führt eine fast theatralische Lichtregie auf der Suche nach dem Mysteriösen im Alltäglichen. Sie setzt Akzente mit Licht und Schatten, sie erzeugt Stimmungen die mal kalt und abweisend, mal warm und einladend oder diffus und enigmatisch sind, so wie die Gefühle der Menschen hinter den Kulissen, die wir zwar nicht sehen, die aber deutlich präsent sind. Ohne Frage ist Stefanie Hubner in diesen Bildern auch technisch eine malerische Meisterleistung geglückt. Man fühlt welche Faszination vom Spiel zwischen Licht und Schatten ausgeht. Sie scheint förmlich davon besessen zu sein, diese emotionale Spannung zu erreichen, diese Sogkraft, die uns in das dunkle Nichts hineinzieht. Licht aus der Dunkelheit, Licht als Symbol der Hoffnung, des Lebens.
Von zwischenmenschlichen Beziehungen und individuellen Schicksalen handeln auch ihre Portraits, die im Stile des Amerikanischen Realismus von Einsamkeit, Trauer, Schmerz und Sexualität handeln. Man fühlt sich hier als ungebetener Gast, als Eindringling, als heimlicher Beobachter. Es ist ein seltsames Gefühl und man hofft dabei nicht ertappt zu werden. Es ist das Empfinden des Voyeuristen der zwar etwas Verbotenes tut und es genießt, Angst hat entdeckt zu werden, was erneut reizt, unerkannt bleiben möchte, sich wundernd, aber auf keinen Fall eingreifen möchte. Es sind Schnappschüsse intimster Momente, Blicke durch ein Schlüsselloch. Viele dieser Portraitbilder haben eine rätselhafte Aussage. Es knistert vor sexueller Ambivalenz und klaustrophobischen Seelenzuständen.
Im Bild "Nachtschatten" ertappt man sich bei der Frage ob die Person nur schläft oder schon tot ist. Sind wir Zeugen eines Verbrechens? Ist sie Opfer eines Gewaltaktes? Wo befindet sie sich und warum ist sie so angezogen? Was hat dieser Strick zu bedeuten, der sie umschlingt? Dieses Bild wühlt auf, obwohl oder gerade wegen der sichtlichen Ruhe. Imponierend auch die Behandlung von Licht und Schatten, die wie bei Caravaggio die Dramaturgie mit harten Hell-Dunkel Kontrasten intensiviert.
Spannend die Serie "Black Silence". Fünf Werke, die eine schwarz gekleidete weibliche Person an einem Bootssteg in unterschiedlichen Posen darstellt. Schwarz, die Farbe der Trauer. Warum steht sie da? Warten auf Charon den Fuhrmann, um über den Totenfluss Acheron ins Reich des Hades zu gelangen? … und schließlich die "Nixe", die ich als Schluss dieser Serie interpretiere. Die Auferstehung, die Hoffnung auf ein Weiterleben.
Und letztendlich "Cornered" von uns als Plakatbild ausgewählt. Es ist wohl ein Autoporträt, in unschuldigem Weiß gekleidet, müde, niedergeschlagen, ohne Ausweg. Hier fühlt man die Einsamkeit, die Verzweiflung, die Aussichtslosigkeit. In die Ecke gedrängt ohne Chance zur Flucht, bleibt nur der flehende Blick zum Himmel. "Die Farbe der Stille", wie sie das Werk auch nannte, ist für mich ein Hilfeschrei. Still aber dennoch so laut und durchdringend, dass man zum ersten Mal den Drang verspürt eingreifen zu müssen. Wenn man nur wüsste, wie. Kunst war ihr Leben!
Es sind ihre durchgemachten Seelenzustände, Ihre Ängste und Reflexionen, die wir im Grunde alle haben, uns aber nicht trauen, daran zu denken, aus Angst vor der Wahrheit. Mit ihrer Kunst hält uns Stefanie Hubner einen Spiegel vor und zwingt uns zum kritischen Dialog. Ihre Bilder kratzen an schmerzhaften Stellen, hinterfragen, machen neugierig und nachdenklich.
Die Koloristik ihrer Bilder kommt aus ihrem Inneren heraus. Sie entwickelt Angstfarben, Schmerzfarben, Spannungsfarben, Hoffnungsfarben, Kälte- und Wärmefarben, Erlösungsfarben.
Es ist die Balance zwischen Außen und Innen das die Spannung in ihren Werken ausmacht und ihre Botschaft verständlich, durchlässig für Interpretation und offen für Empathie. Ihre Kunst ist unverwechselbar, ihre Botschaft klar, ihre Farben sind Kontrapunkte der Handlung. Ihre Gegensätze zeigen das menschliche Leben das vom Tode umfangen ist, Leben zum Tode hin, aber Tod nicht als Ende. Nur wer um den Tod weiß, kann das Leben feiern! Vergessen wir nicht das Memento Mori: "Gedenke Mensch, dass Du sterblich bist" ABER genieße das Leben! Vielen Dank!
Augsburg im Mai 2025 Dr. Mario Cervino
Foto: Annette Zoepf